Im Forschungsvorhaben MINGA werden im Zusammenhang mit autonomen Fahren viele Themenfelder bearbeitet. Diese Übersicht teilt die vielseitigen Themen des Forschungsprojekts MINGA in einzelne Anwendungsfelder ein.
On-Demand-Ridepooling mit autonomen Fahrzeugen
Es soll ein Ridepooling-System mit drei bis fünf autonomen, für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geeigneten Level-4-Fahrzeugen im On-Demand (OD)-Betrieb aufgebaut und erprobt werden. Die Fahrzeuge werden in einem ausgewählten Bediengebiet eingesetzt, das sich durch besondere verkehrliche Herausforderungen auszeichnet, besonders zu Stoßzeiten.
On-Demand-Verkehre mit Ridepooling werden in Zukunft eine tragende Rolle dabei spielen, den Bürger*innen die gewünschte funktionale, zeitliche und örtliche Flexibilität im ÖV zu bieten, die sie bisher nur vom privaten PKW kennen. Perspektivisch wird es für die Ausweitung des Angebots unerlässlich sein, die Fahrzeuge zu automatisieren.
Die wesentlichen Projektbausteine sind:
Autonomer Solobus und Bus-Platoons im Linieneinsatz
Im Projekt MINGA werden ein autonomer Solobus und Bus-Platoons (virtuell gekoppelte Busse) für den Linieneinsatz vorbereitet. Dabei erfolgt zunächst die technische Entwicklung automatisierter Fahrfunktionen und deren kontinuierliche Erprobung im Testbetrieb. In Probefahrten mit herkömmlichen Elektrobussen werden die Streckeneigenschaften der ausgewählten Betriebsbereiche (Buslinie 178 für den Solobus, Buslinie 197 für den Platoon) mit Kameraaufnahmen und detaillierten Notizen erfasst, um die Anforderungsprofile für die Fahrzeuge zu definieren. Der Zulassungsprozess für beide automatisierten Fahrzeugsysteme erfolgt im intensiven Austausch mit dem TÜV und umfasst die Genehmigung eines vorläufigen Testbetriebs auf der Straße unter einer technischen Aufsicht sowie Einsatz von Sicherheitsfahrenden.
Autonomer Solobus
Im ersten Schritt wird die Teststrecke entlang der Linie 178 mit einem herkömmlichen Bus befahren, um die Anforderungen, die ein autonomer Solobus erfüllen muss definieren zu können. Basierend auf diesen Erkenntnissen wird ein Referenz-Solobus mit einer elektronischen Lenkung und einem Self-Driving-System mit Sensorik ausgestattet. Mit diesem soll das Ziel des automatisieren Linienbetriebs erreicht werden, wichtig ist hierbei insbesondere die Erprobung der Haltestellenanfahrt und die Integration in das bestehende Leitstellensystem. Ein Sicherheitsfahrender wird zunächst immer an Bord sein.
Zudem werden über Tiefeninterviews mit Busfahrer*innen sowie mobilitätseingeschränkten Fahrgästen Konzepte zur Barrierefreiheit entwickelt und in die Fahrzeug(bedien)technik integriert.
Bus-Platoons
Ein Bus-Platoon sind zwei miteinander virtuell gekoppelte Busse, Der vordere Bus wird mit dem Fahrpersonal gesteuert, der hintere Bus folgt dabei automatisiert dem ersten Bus. Ein*e Sicherheitsfahrer*in im hinteren Bus überwacht dabei die Fahrmanöver. Es werden alle Lenk-, Steuer-, und Fahrbefehle an den hinteren Bus via Sensoren und Kameras übertragen. Die Erprobung findet im ersten Schritt in einem geschlossenen Testfeld statt. Nach Erhalt der Erprobungsgenehmigung wird im zweiten Schritt der Einsatz des Bus-Platoons entlang der Linie 197 getestet. Perspektivisch soll das Bus-Platoon im Zuge der Elektrifizierung der Busflotte die Buszüge auf nachfragestarken Buslinien ersetzen.
Damit verbundene Anwendungsfelder
Rechtliche Rahmenbedingungen
Die Projektbeteiligten erarbeiten Änderungsvorschläge für Normen des Verkehrsgewerberechts und für Vorschiften des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sowie Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO), die ein Hemmnis für den Einsatz autonom fahrender Busse im ÖPNV darstellen können. Vor dem Hintergrund der bis dahin gesammelten Erfahrungen entwickeln sie zudem Optimierungs- beziehungweise Konkretisierungsbedarfe für das Gesetz zum autonomen Fahren. Insgesamt werden konkrete Novellierungsvorschläge für einzelne, nationale Normen geliefert. Zudem zeigt das Projekt auf, wie eine praktische Umsetzung autonomer Fahrzeuge in den ÖPNV (insbesondere in Linienbedarfsverkehre) vorgenommen werden kann.
Neue Finanzierungsmodelle
Die Finanzierung des öffentlichen Mobilitäts- und Verkehrssystems obliegt der öffentlichen Hand. Mit dem bundesweitem Ziel Emissionen analog dem Pariser EU-Klimaabkommen einzusparen und eine Umsetzung der Mobilitätswende auch kommunal voranzutreiben, bedarf es neuer Finanzierungsmodelle und damit verbundener rechtssicherer Regelungen.
Unter Berücksichtigung fortschreitender Automatisierung und Vernetzung von Verkehrsangeboten sollen im Förderprojekt MINGA Finanzierungsmöglichkeiten für den Mobilitäts- und Verkehrssektor untersucht werden und neue Lösungsmodelle abgeleitet werden. Mit künftigen, autonomen und gebietsübergreifenden Verkehren (zum Beispiel On-Demand-Angeboten aber auch regionalen Schnellbussen) kommen auch regionale Verkehre hinzu, die gebietsübergreifende Ziele verfolgen und deren Finanzierung an den jeweiligen Zielen ausgerichtet werden muss. Hierfür fehlen heute Konzepte ebenso wie Regelungen. Im Ergebnis erarbeitet das Projektteam solche Konzepte, konkretisiert sie und leitet Regelungsvorschläge ab.
Buchung des On-Demand-Services
Im Projekt MINGA werden die autonomen Angebote (Solobus, Bus-Platooning und On-Demand-Shuttles) vollständig in die bestehenden Fahrgastinformationssysteme (Desktop und App) der SWM/MVG und MVV GmbH integriert. Es soll dabei keinen Unterschied zu konventionellen Angeboten geben. Für den Fahrgast ist jedoch immer klar, ob es sich um ein konventionelles oder ein autonomes Fahrzeug handelt.
Der neue autonome On-Demand-Service kann in allen Auskunftssystemen des MVV angezeigt und mit den bestehenden Logins gebucht und bezahlt werden, ohne, dass beispielsweise eine weitere App nötig ist. Ein besonderer Fokus liegt auf Menschen mit Seh- oder Mobilitätseinschränkungen. Alle Funktionen oder Informationen, die zwingend für diese Zielgruppe notwendig sind, sollen in der App abgebildet werden und verfügbar sein.
Inklusion und Barrierefreiheit
Durch den Einsatz autonomer Fahrzeuge im Münchener Nahverkehr ergeben sich in Bezug auf Inklusion und Barrierefreiheit für alle Nutzenden neue Herausforderungen, insbesondere durch den Wegfall der Busfahrer*innen. Dies betrifft zum Beispiel die Auskunft, die Buskennung oder die nächste Station, den Wunsch nach einem verlängerten Halt zum Einstieg oder auch die langsamere Anfahrt des Busses bei Rollstuhlfahrenden. Zur Bewältigung dieser Themen werden neben physischen Lösungen an den Haltstellen und in den Bussen auch die zahlreichen Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt. Im Zuge dessen sollen ein schlüssiges und abgestimmten Konzept erarbeitet, ein Pilot aufgebaut und getestet, sowie die Überführung in den Echtbetrieb verwirklicht werden.
Digitale ÖPNV-Beschleunigung
Die ÖPNV-Beschleunigung ist eine Funktionalität an Ampelanlagen, um einem Bus oder einer Tram auf ihrer Route an Kreuzungen vorrangig grün zu geben und somit den öffentlichen Verkehr vor dem Individualverkehr zu priorisieren. Dadurch wird die Reisezeit von Bürger*innen, die mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs sind reduziert.
In München sind bereits zirka 80 Prozent der Ampeln, die von ÖPNV-Fahrzeugen befahren werden, beschleunigt, basierend auf einem Anmeldeverfahren über analogen Funk. Eine digitale Anmeldung beinhaltet neue Nachrichtentypen und mehr Flexibilität. Im Projekt MINGA wird die im Vorgängerprojekt TEMPUS begonnene Erprobung der digitalen ÖPNV-Beschleunigung weiterentwickelt und ausgebaut.
Ziel ist es, durch die digitale ÖPNV-Beschleunigung die Qualität der aktuellen analogen Beschleunigung zu erhalten und bereit für zukünftige Technologien zu machen. Damit sollen die Fahrer*innen bei der Priorisierung an Kreuzungen zusätzlich unterstützt werden und Grundsteine für einen autonomen öffentlichen Nahverkehr geschaffen werden. Die Erprobung der verschiedenen Anmeldeverfahren im realen Linienbetrieb dient dazu, die Qualität und Zuverlässigkeit der Systeme zu analysieren, weiterzuentwickeln und die Attraktivität des Öffentlichen Nahverkehrs zu steigern.
Systemarchitektur
Die Planung und Steuerung in Entwicklung, Beschaffung und Betrieb autonomer Fahrzeuge wird deutlich komplexer als die nicht-autonomer Fahrzeuge. Dies führt zu einer komplexeren Daten- und Systemlandschaft sowie höheren Anforderungen an die Zusammenarbeit der eingesetzten Systeme und Abstimmungsprozesse. Da autonome Busse bisher nicht im Realbetrieb etabliert und eingesetzt werden, fehlt hierzu eine Basis für die Ableitung und Verfeinerung der Anforderungen.
Ziel im Projekt ist es daher, eben diese Basis zu schaffen, indem relevante Stakeholdergruppen identifiziert und ihre Wechselbeziehungen sowie die damit verbundenen Informationsflüsse in einem Kommunikationsmodell transparent gemacht werden.
Digitaler Zwilling und Simulation
Um die langfristige Auswirkung autonomer ÖPNV-Dienste auf München zu verstehen, wird ein digitaler Zwilling des Münchner Verkehrssystems erstellt. Digitale Zwillinge erlauben die digitale Darstellung der realen Welt. Hierbei wird in einem ersten Schritt eine digitale Nachbildung des momentanen Verkehrssystems erstellt, das sowohl Infrastruktur und ÖPNV-Dienste als auch eine künstliche Population Münchens samt deren Verkehrsverhalten umfasst.
Dieser digitale Zwilling erlaubt es, durch Simulation die Auswirkung autonomer Dienste zu untersuchen. Anhand der in MINGA generierten Realdaten der zu testenden autonomen Dienste, können sowohl die Linienbussysteme als auch der Ride-Pooling-Dienst realistisch abgebildet werden. Das Einführen dieser Modelle in den digitalen Zwilling erlaubt die Auswertung von Nutzung, Verkehrsmittelwahl oder Verkehrsbelastung, die auch die Analyse der Wirkung auf die Umwelt ermöglicht. Es werden verschiedene Szenarien untersucht (zum Beispiel eingesetzte Flottengröße, Betriebsgebiet aber auch politische Verkehrsmaßnahmen), die einen nachhalten Weg zum Einsatz der autonomen Fahrzeuge im ÖPNV aufzeigen sollen.
Gesamtevaluation
Das MINGA-Projektteam führt eine Gesamtevaluation der verschiedenen autonomen Systeme im öffentlichen Verkehr (Solobus, Bus-Platoons, Shuttles) durch. Dabei werden unterschiedliche Aspekte der Systeme in verschiedenen Szenarien verglichen.
Der Fokus liegt zum einen auf den technischen Ergebnissen, Vorteilen und Herausforderungen dieser neuen Verkehrsmittel. Dazu zählen der bessere Einsatz der Fahrzeuge, die höhere Sicherheit für Fahrgäste und auch die möglichen Umweltwirkungen, die durch einen vermehrten Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Verkehr erhofft werden. Zum anderen wird die gesellschaftliche und soziale Wirkung dieser Technologien betrachtet, um zu verstehen, welche Vorzüge und Herausforderungen sie mit sich bringen. Insbesondere wird untersucht, wie Barrierefreiheit und Inklusion für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sichergestellt werden können und wie die neuen Systeme von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen akzeptiert werden. Zusätzlich befasst sich das Projekt mit den regulatorischen und organisatorischen Herausforderungen, die überwunden werden müssen, um einen reibungslosen Betrieb zu ermöglichen, sowie den Hindernissen für eine flächendeckende Einführung dieser Dienste.